Architektur mit Seele
In Ihrer Ausstellung in der Nordsee Akademie zeigen Sie Zeichnungen von Gebäuden, Denkmälern und Plätzen – darunter auch eine Ansicht unserer Akademie. Was fasziniert Sie an solchen Orten? Welche Geschichten möchten Sie damit erzählen?
Während meines Studiums der Bildenden Kunst an der Universität Mainz studierte ich auch Kunstgeschichte, die sich nicht nur mit Malerei und Bildhauerei, sondern auch mit Architektur befasst. Ich beschäftigte mich intensiv mit Perspektive. Von Anfang an zog es mich zur realistischen Darstellung – ich wollte Zeichnungen schaffen, die Tiefe und Raum vermitteln wie Fotografien.
Mit der Zeit begann ich freier zu arbeiten. Ich folge heute nicht mehr strikt den Gesetzen der Perspektive, sondern lasse mich von meinem Gefühl leiten. Linien, Licht und Schatten sind für mich wichtiger geworden als Proportion und Genauigkeit. Ich sehe mich nicht als Architektin, sondern als Künstlerin. Meine Aufgabe ist es, die Schönheit festzuhalten, die ich im Moment des Betrachtens empfinde – sei es bei einer Statue, einem Modell oder einem Bauwerk.
„Alles, was ich sehe, besitzt für mich eine Seele, eine Vergangenheit, eine Geschichte.“
Selbst ein kleiner, unscheinbarer Stein kann eine einzigartige Erzählung in sich tragen. Dinge, die mit Menschen zu tun haben, berühren mich besonders – denn sie sind lebendig, manchmal auch dann, wenn sie leblos erscheinen.
Musik als innere Landschaft
Ein Teil der gezeigten Werke widmet sich Menschen, die Musikinstrumente spielen – auch vietnamesische Instrumente. Welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben und in Ihrer Kunst?
Traditionelle vietnamesische Musik besitzt eine eigene, unverwechselbare Melodie, die sich deutlich von der westlichen unterscheidet. In Vietnam ist die Liebe zur Musik tief verwurzelt. Es gibt einfache, aber klangvolle Instrumente wie die Bambusflöte, die Kokosnussschalen-Geige oder das Bambusxylophon. Ende des 19. Jahrhunderts hielt die westliche Musik Einzug in Vietnam und wurde mit offenen Armen aufgenommen.
Ich selbst kann weder singen noch ein Instrument spielen. Doch anderen beim Musizieren zuzuhören erfüllt mich mit Freude – ich spüre dabei die Schönheit ihrer Seele.
„Wenn ich Musik höre, sehe ich die Seele eines Menschen.“
Besonders lebendig ist die Erinnerung an meine Mutter, die abends gern Cai-Luong-Stücke im Radio hörte – eine Mischung aus Gesang, Erzählung und Musik. Das Radio war damals ein Fenster zur Welt. Wir Kinder saßen neben unserer Mutter, lauschten und ließen Bilder in unserer Fantasie entstehen – mal voller Freude, mal von leiser Traurigkeit. Diese Erinnerungen prägen meine Arbeit bis heute. Manchmal genügt ein Moment mit Straßenmusik, um mich künstlerisch zu inspirieren.
Tusche: Klarheit, Ausdruck, Reduktion
Tusche hat in Asien, auch in Vietnam, eine lange künstlerische Tradition. Was fasziniert Sie persönlich an der Arbeit mit Tusche?
Meine künstlerische Reise begann mit Kalligrafie – ich studierte an der Fakultät für Bildende Künste mit Tuschestiften. Schon früh zog mich die Ausdruckskraft asiatischer Kunst in ihren Bann: Aquarelle, die mit Schwarz und Weiß Tiefe, Bewegung und Gefühl erzeugen. Daraus entwickelte ich meinen Stil, in dem ich Kalligrafie und freie Pinselführung verbinde. Die Reduktion auf Schwarzweiß schafft eine Klarheit, die mich sehr anspricht.
„In jeder Linie liegt für mich eine Brücke zwischen meinen Wurzeln und meiner Handschrift.“
Ich habe viele Werke mit dieser Technik geschaffen – darunter Architektur, Landschaften und Akte – und an zahlreichen Orten ausgestellt, zuletzt im Richard-Haizmann-Museum in Niebüll und in der Deutschen Bücherei in Apenrade. Besonders freut es mich, wenn Menschen sich von mir porträtieren lassen – das ist eine besondere Form des Vertrauens.
Arbeiten mit Erinnerung und Gefühl
Wie nähern Sie sich einem Ort oder einem Gebäude? Arbeiten Sie lieber direkt vor Ort oder im Atelier?
Anfangs zeichnete ich direkt vor Ort – ich saß draußen, betrachtete jedes Detail und versuchte, die Zeichnung am selben Tag fertigzustellen. Das war oft stressig. Später begann ich, zu fotografieren und in Ruhe zu Hause zu arbeiten. Dort kann ich meine Eindrücke freier und gefühlvoller umsetzen.
Viele meiner Werke basieren auf Reisen, persönlichen Begegnungen oder auch auf der Fantasie. So etwa das Bild der Dänischen Kirche in Rømø: In meinem Bild segeln die dort ausgestellten Schiffsmodelle im Wind, darunter toben die Wellen – als Ausdruck der Sorgen und Hoffnungen der Seefahrerfamilien.
„Ich zeichne nicht nur, was ich sehe – sondern was ich dabei empfinde.“
Tusche entdecken – was Teilnehmende erwartet
Im Herbst leiten Sie zwei Workshops „Tusche entdecken – Einführung ins Zeichnen“. Worauf dürfen sich die Teilnehmenden freuen?
Im Workshop zeige ich, wie man mit Pinsel und Feder arbeitet, um feine, kräftige oder lebendige Striche zu erzeugen. Ich beginne mit einfachen Beispielen – dann üben wir gemeinsam: Blätter, Obst, Vasen und vieles mehr. Es geht um Form, Licht, Schatten, Struktur. Wichtig ist mir, dass niemand Angst hat, loszulegen. Jede Linie zählt – Fehler gibt es nicht.
„Ich möchte Mut machen, frei zu zeichnen und den eigenen Ausdruck zu entdecken.“
Im weiteren Verlauf behandeln wir Grundlagen der Perspektive und Bildkomposition. Ich nehme mir für alle Zeit, um individuell zu begleiten. Am Ende betrachten wir gemeinsam die entstandenen Werke – ein Moment des Teilens und Lernens.
➤ Workshops mit Cam Phuong Hua-Nguyen
📅 Workshop A: Samstag, 6. September 2025
📅 Workshop B: Samstag, 22. November 2025